Seit der Antike kennt und pflegt das westliche Kunstdenken den Mythos vom Künstler als einzigartigem (männlichem) Individuum, das Wunderbares hervorbringt. Er speist sich u. a. aus der Naturalis Historia (Naturkunde) des römischen Gelehrten Plinius d. Ä. (23/24-79 n. Chr.). Die letzten fünf der insgesamt 37 Bände dieses enzyklopädischen Werks sind eine entscheidende Quelle für das Wissen über antike Kunst. Zahllose Anekdoten handeln darin vom Wert von Kunstwerken, von Problemen der Mimesis und des ästhetischen Urteils, von künstlerischer Rivalität, der Beziehung zwischen Künstler und Publikum, Künstler und Herrscher u. a. m. Jahrhundertelang wurden diese kleinen Erzählungen wiederholt, variiert, an wechselnde Situationen und Interessen angepasst, sie katalysierten Kunsttheorie und -geschichte. Nicht wahrgenommen wurde jedoch, dass sie auch den Weg zu einem anderen als dem wohlbekannten Konzept eröffnen: zu einem, in dem Kunst als komplexer reziproker Austausch von Gaben zwischen mehr als zwei Akteuren gedacht wird. An der Lektüre zweier einschlägiger Anekdoten (NH 35.86-87 und NH 35.140) versucht der Aufsatz die Bedeutung agonistischer Gaben in diesem Kunstdiskurs zu zeigen.