Ethische und medizintheoretische Anmerkungen zu Wunsch und Wirklichkeit der individualisierten MedizinEthical and theoretical medical comments on the desire and reality of individualised medicine

Ausgehend von einer wissenschaftstheoretischen Verortung der individualisierten Medizin beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der ethischen Analyse des komplexen Problemfeldes. Hierbei wird zunächst die Notwendigkeit einer evidenzbasierten – in Abgrenzung zu einer interessengetriebenen – Entscheidungsfindung herausgestellt. Anhand einer Heuristik der sozialen Rechtfertigbarkeit kann als Zwischenbilanz festgehalten werden, dass zum einen die genombasierte Forschung, die darauf abzielt, die Individualisierung der Medizin voranzutreiben, als nicht exzeptionell gegenüber der Forschung, die sich anderer diagnostischer Marker bedient, bewertet und auf die entsprechenden ethischen Standards verwiesen werden kann. Zum anderen sollte sich die Weiterentwicklung einer individualisierten präventiven Medizin im Bereich der multifaktoriellen Erkrankungen stärker als bisher mit den Opportunitätskosten genetischer Risikodiagnostik im Verhältnis zu tatsächlich gegebenen Handlungsoptionen auseinandersetzen. Für eine sachgerechte, medizinisch sinnvolle, ethisch rechtfertigbare und sozial gewünschte Umsetzung der Verfahrensfelder der individualisierten Medizin ist eine klare Trennung von Forschung und Versorgung sowie die zeitgleiche Implementierung ethischer, rechtlicher, methodischer und technischer Standards anzustreben, die jedoch unablässig weiterzuentwickeln sind, um auf mögliche Grenzverschiebungen reagieren zu können. Nicht zuletzt bleibt hierbei die Herausforderung bestehen, die Leistungsfähigkeit, Operationalisierbarkeit, Performanz und Leistbarkeit der individualisierten Medizin vor dem Hintergrund ihrer sozialen Rechtfertigbarkeit plausibel zu machen.